Über die Sammlung

Überblick

Die Osteuropasammlung der Bayerischen Staatsbibliothek gehört zu den weltweit umfangreichsten und bedeutendsten ihrer Art. Sie umfasst etwa 1,4 Millionen Bände, ca. 5 000 laufende Printzeitschriften, historische und moderne Karten, Zeitungen, mittelalterliche wie neuzeitliche Handschriften, eine große Sammlung mikroverfilmter Archivmaterialien sowie vielfältige elektronische Medien.

Geographisch weit gefasst beinhaltet sie Literatur aus und über die Länder Ostmittel- und Südosteuropas, die baltischen Länder, Finnland, das östliche Osteuropa bis hinein nach Asien, den Kaukasus und die mittelasiatischen GUS-Staaten.

Inhaltliche Schwerpunkte der Sammlung liegen auf Geschichte, Politik, Wissenschaft, Bildungswesen, Informationswissenschaften und Musik sowie auf der Theologie, Philosophie, den Philologien, der Volkskunde und Kunst.

Die Sammlung bildet rund ein Zehntel des Gesamtbestandes der Bayerischen Staatsbibliothek. Jährlich wächst sie allein im Printbereich um ca. 20 000 weltweit erworbene Bände. Damit nimmt sie international eine Spitzenposition ein.

Geschichte

Gründungsbestand

Die Geschichte der Osteuropasammlung reicht bis in die Anfangszeit der Bayerischen Staatsbibliothek zurück.
Bereits im Gründungsbestand der Königlichen Hofbibliothek im Jahre 1558 befanden sich Slavica, Hungarica, Armenica sowie byzantinische Handschriften.

Bedeutende Werke aus dem Gründungsbestand:

  • Tschechisches Gebetbuch (Handschrift, 16. Jahrhundert)
  • Serbisch-kirchenslawisches Psalterium (1546)
  • Alttschechisches „Wörterbuch“ von Sigismund Gelenius (1537)
  • Religiöses Epos „Judith“ von Marko Marulić (1522)

Säkularisation

Die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts war für die Entwicklung der Bestände von großer Bedeutung. In dieser Zeit gelangten nicht nur lateinische Werke zur Geographie und Geschichte des östlichen und südöstlichen Europas, sondern auch einige wertvolle slawische Handschriften in die Sammlung.

  • Freisinger Denkmäler (aus der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts)
  • Serbischer Psalter, in Südosteuropa als „Münchner Psalter“ bekannt

Die Bedeutung der slawischen Sammlung begann sich herumzusprechen: Die Begründer der slawischen Philologie wie Josef Dobrovský, Jernej Kopitar, Aleksandr Ch. Vostokov und Ján Kollár reisten an, um Schriften einzusehen.

19. Jahrhundert bis zum 2. Weltkrieg

In der Zeit nach der Säkularisation wuchs die Sammlung langsam, aber kontinuierlich an. Im Verhältnis zur Fülle der italienischen oder französischen Literatur blieben die Slavica aber eine eher bescheidene Gruppe.

Erst nach der Gründung eines Lehrstuhls für Slawische Philologie an der Universität München im Jahre 1911 wurden verstärkt und planmäßig Werke zur slawischen Philologie und Geschichte Osteuropas gekauft. Dazu wurde 1919 an der Bayerischen Staatsbibliothek ein „Slawisches Referat“ mit einem hauptamtlichen wissenschaftlichen Bibliothekar eingerichtet.

Trotz schwieriger Zeiten in den Zwischenkriegsjahren wurde – auch mit Hilfe der sogenannten „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ – die Sammlung weiter ausgebaut. Erheblich eingeengt wurden die Erwerbungen dagegen in der Zeit des Nationalsozialismus und in den Kriegsjahren.

Von den Zerstörungen des 2. Weltkriegs – die Bibliothek wurde bei Bombenangriffen fast vollständig zerstört – war auch der Osteuropa-Bestand stark betroffen. Zahlreiche wertvolle Bibeln, Akademieschriften, Reisebeschreibungen und ein großer Teil des Fach „Turcica“, in dem sich viele Werke der historischen und geographischen Literatur Südosteuropas befanden, wurden zerstört.

Nachkriegszeit und die Jahre des Kalten Krieges

Die ersten Nachkriegsjahre waren von Stagnation geprägt. Das lag zum einen natürlich an fehlenden Geldern, zum anderen aber auch an fehlenden Möglichkeiten, Literatur aus Osteuropa zu beschaffen.

Einen Wendepunkt brachte das Jahr 1950: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, damals noch „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“) übertrug der Bayerischen Staatsbibliothek die Sondersammelgebiete zu den Ländern Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas.

Das beinhaltete den Auftrag, alle wissenschaftlich relevante Literatur zu der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland, Albanien, Rumänien, den Baltischen Ländern und Byzanz aus den Bereichen Geschichte, Politik, Landes- und Volkskunde, Sprache und Literatur sowie Bildungs- und Informationswesen dieser Gebiete möglichst vollständig zu kaufen. Durch die finanzielle Förderung der Sondersammelgebiete konnte die Sammlung konsequent ausgebaut werden und gewann erheblich an Bedeutung.

Im Jahr 1954 wurde ein neuer Lesesaal errichtet. Im Zuge dessen wurde auch der Name „Slawische Sammlung“ an den Sammelauftrag angepasst und in „Osteuropa-Sammlung“ geändert. Der Bestand der Osteuropasammlung wuchs in den folgenden Jahren durch die seit den 1960er Jahren rasant steigende Buchproduktion in den osteuropäischen Ländern schnell an.

1998 bis heute

Die Veränderungen im östlichen Europa nach Ende des Kalten Krieges führten auch zu gravierenden Veränderungen auf dem Verlags- und Vertriebssektor: Große Staatsverlage zerfielen, eine Vielzahl kleiner Privatverlage entstand, die Buchproduktion ging durch die hohen Druckkosten zurück und die staatlichen Buchhandelsnetze zerfielen. Trotz großer Anstrengungen kam es daher in der Osteuropasammlung zu einem deutlichen Rückgang bei der Literaturbeschaffung, so dass Lücken nicht zu vermeiden waren. Erst um das Jahr 2000 konnte die flächendeckende Buchbeschaffung wieder stabilisiert werden. Zugleich war ein enormer und kontinuierlicher Zuwachs der Buchmärkte nahezu aller zur Sammlung gehörenden Länder zwischen 2000 und 2014 zu verzeichnen, der seit 2015 allerdings teils wieder in einigen Ländern, darunter Russland, rückläufig ist.

Einen großen Einschnitt in der Geschichte der Osteuropasammlung bedeutete die Umstrukturierung der Sondersammelgebiete nach der Wiedervereinigung Deutschlands: Die slawische Philologie und Volkskunde, die rumänische und albanische Philologie und Volkskunde, das neuzeitliche Griechenland und das Baltikum wurden 1998 als Sondersammelgebiete an ostdeutsche Bibliotheken (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena, Universitätsbibliothek Greifswald) übertragen. Infolgedessen wurden die Erwerbungen in diesen Bereichen zurückgefahren und ganz aus Mitteln des Freistaats Bayern finanziert.

Zu Beginn des Jahres 2009 wurde allerdings die Zuständigkeit für die Sondersammelgebiete rumänische und albanische Philologie und Volkskunde sowie das neuzeitliche Griechenland an die Bayerische Staatsbibliothek zurückgegeben.

2013 bis 2015 unterwarf die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihre Förderung der Sammelschwerpunkte einer grundsätzlichen und tiefgreifenden Umstrukturierung – aus den „Sondersammelgebieten“, deren primäre Aufgabe die möglichst lückenlose Erwerbung und überregionale Bereitstellung wissenschaftsrelevanter Literatur war, sollten „Fachinformationsdienste“ werden, deren Fokus weniger auf der Literaturbeschaffung als auf neuen Services liegen sollte.

Im Rahmen des seit 2016 von der DFG geförderten „Fachinformationsdienstes Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa“ hat die Bayerische Staatsbibliothek wiederum die überregionale Zuständigkeit auch für die baltischen Länder übernommen und fachlich auf die Bereiche Gesellschaft, Religion und Kirchengeschichte ausgedehnt. Ein Schwerpunkt des Fachinformationsdienstes liegt auf dem Erarbeiten von Konzepten und Methoden der überregionalen Bereitstellung auch elektronischer Medien, die seit ihrem Aufkommen selbstverständlich auch zur Sammlung gehören. Derzeit stellt die Bayerische Staatsbibliothek circa 80 000 zur Osteuropasammlung gehörende Print-Titel jedermann weltweit digital im Open Access zur Verfügung, auf weitere 20 000 E-Books sowie zahlreiche Datenbanken und circa 700 lizenzierte elektronische Zeitschriften können Nutzerinnen und Nutzer via BSB DISCOVER! zugreifen.

OstDok

Informationen zum DFG-Förderprogramm „Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“

Literatur

Gonschior, Hannelore: Russische Föderation: mehr Verlage, weniger Bücher. In: Ost-West-Gegeninformationen 8 (1996), S. 33-35.

Gonschior, Hannelore: Strukturwandel im Verlagswesen und Buchhandel Rußlands und seine Auswirkungen auf die Erwerbungstätigkeit der Osteuropa-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek. In: Grosser, Cornelia (Hrsg.): Kultur und Literatur aus Europa in Europa: die Rezeption Osteuropas vor und nach der Wende. Wien, 1996. S. 13-20.

Kratz, Gottfried: Staatsbibliothekar Dr. Emil Walker (1896-1945) an der Bayerischen Staatsbibliothek. In: Bibliotheksforum Bayern 3 (2009), S. 42-45.

Kratz, Gottfried: Von Katharinenfeld im Kaukasus nach Schwarzenfeld in Bayern: Staatsbibliothekar Dr. Emil Walker, Germanist, Slavist und „Kontinentaleuropäer“. Münster, 2007.

Mach, Otto: Die Osteuropabestände der Bayerischen Staatsbibliothek: Benutzungsführer. München, 1965.

Mach, Otto: Die Osteuropasammlung der Bayerischen Staatsbibliothek und ihre Entwicklung in den letzten Jahren. In: Österreichische Osthefte: Zeitschrift für Mittel-, Ost- und Südosteuropaforschung 5 (1963) 1, S. 71-73.

Pleyer, Viktoria: Die Osteuropa-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek: Grundzüge ihrer Entwicklung 1950-1990. The Eastern Europe department of the Bavarian State Library: an outline of its development 1950-1990. In: Bibliotheksforum Bayern 18 (1990), 1 S. 13-26.

Wirtz, Gudrun; Gonschior, Hannelore: Von Griffelglossen zum elektronischen Volltext: Bestände und Dienstleistungen der Osteuropasammlung der Bayerischen Staatsbibliothek. In: ABDOS-Mitteilungen 1 (2009), S. 1-10.

Wirtz, Gudrun: Von fremden Ländern und Menschen? Die frühe Osteuropasammlung der Bayerischen Staatsbibliothek im Spiegel ihrer Bavarica. In: Ceynowa, Klaus; Hermann, Martin (Hrsg.): Bibliotheken: Innovation aus Tradition: Rolf Griebel zum 65. Geburtstag. München, Berlin: De Gruyter Saur, 2014. S. 334-350.

Wirtz, Gudrun: Slawistik (Bücherkummulation und Aufbruch der Forschung). In: Lebendiges Büchererbe: Säkularisation, Mediatisierung und die Bayerische Staatsbibliothek: eine Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek, München, 7. November 2003 - 30. Januar 2004. München: Bayerische Staatsbibliothek, 2003. S. 168-174.

Vollständige Literaturliste zur Osteuropa-Sammlung  (PDF, 158 KB)

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