Belarus
Albaruthenica
Der Umfang der belarussischen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek kann nur geschätzt werden. Er beträgt ca. 20 000 Monographien, darunter etwa 6 000 Werke in belarussischer Sprache. Die Sammlung wird jährlich gezielt um rund 300 bis 400 weitere Bände insbesondere zur Geschichte, Politik, Landeskunde, Sprache und Literatur ergänzt. Davon entfallen nur circa 45 Prozent auf Werke in belarussischer Sprache, was der weitgehenden belarussisch-russischen Zweisprachigkeit des Landes geschuldet ist. Zu den Monographien treten im Bestand circa 200 laufende Periodika. Den Schwerpunkt der Sammlung bilden nach wie vor gedruckte Materialien, in zunehmendem Maße liegen Publikationen jedoch auch in elektronischer Form vor. Zum geringen Teil finden sich Mikroverfilmungen, Nachdrucke und Faksimile-Ausgaben vor allem älterer Werke, aber auch weitere einschlägige Ressourcen wie Karten, Bilder etc. Die überwiegende Anzahl der an der Bayerischen Staatsbibliothek vorhandenen Albaruthenica sind im 20. Jahrhundert oder später entstanden.
17. Jahrhundert
Das früheste originale Albaruthenicum an der Bayerischen Staatsbibliothek datiert aus dem späten 17. Jahrhundert. Einige in dieser Zeit entstandene Werke liegen aber auch als deutlich später erschienene Nachdrucke vor. Beim Publikationsaufkommen insgesamt treten zu den bis dato vorwiegend religiösen Schriften zunehmend Werke zu weiteren, vor allem wissenschaftlichen Themen. Teils weisen die Werke einen Belarusbezug allenfalls am thematischen Rand auf, auch weil die „weissreussischen“ Gebiete die längste Zeit ihrer Geschichte Fremdstaaten zugeschlagen waren und somit vielfach nicht unmittelbar im Fokus des zeitgenössischen Interesses standen.
- Ältestes gedrucktes Albaruthenicum im Bestand ist die 1686 in Augsburg gedruckte (1688 erschienene) Beschreibung des damaligen Großfürstentums Litauen (mit seinen belarussischen Gebieten) in der Reihe „Theatrum Cosmographico-historicum”.
Titelliste (mit Links zu den digitalen und Printausgaben)
Theatrum Cosmographico-historicum oder der Welt-Currier / 3: begreiffende, etwelche neue sonderbahre traurig- und fröhliche Begebenheiten, mit eigentlicher Vorstellung deß Groß-Fürsten-Thumbs Littaw, und dessen durch selbiges lauffenden grossen Wasser-Stroms Chronons, Niemen oder Memmel. Augspurg, 1868.
Digitale Version
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: Hbks/F 105 kd-1/4
19. Jahrhundert
- Ältester auf dem Gebiet des heutigen Belarus entstandener Originaldruck im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek ist die eher wenig rezipierte Schrift „Robert oder der letzte Wille. Ein Seitenstück über den Umgang mit Menschen“ (1807). Ob die Schrift tatsächlich in Grodno gedruckt wurde oder ob es sich bei Grodno (neben Leipzig) lediglich um einen weiteren Verlagsort des verantwortlichen Verlages „Petrowitzsch“ handelt, ist ungewiss.
- Die Geschichte der „falschen“ Äbtissin des Basilianerordens in Minsk, Makryna Mieczysławska, fand in Frankreich große Verbreitung. Ihr war in Frankreich eine detaillierte Darstellung gewidmet.
- In Minsk wurde 1881 der zweiteilige Roman „Dwa Bogi, dwie drogi“ des polnischen Schriftstellers und Nationalisten Józef Ignacy Kraszewski gedruckt.
- Aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von Gogols Revizor erschien 1886 in Mogilev als Druck die literaturkritische Rede „O poėzii Gogolja“ von L. O. Dobrovol’skij.
- Eine Schrift des belarussischen Historikers und Landeskundlers Aljaksej P. Sapunaŭ von 1889 erhellt die Geschichte der Polotzker Eparchie von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert.
- 1891 erschien in Vitebsk eine landeskundliche Zusammenstellung unter anderem zu Kirchen, Städten und Ethnien im seinerzeit russischen Gouvernement Vitebsk.
- In Gomel erschienen 1894 die „Očerki dalekoj Sibiri“ aus der Feder des russischen Entdeckungsreisenden Izmail I. Gamov.
- Der russische Geograf Ivan Petrovič Kornilov verfasste 1895 einen Reisebericht zum westlichen Russland des 19. Jahrhunderts (einschließlich Belarus).
Titelliste (mit Links zu den digitalen und Printausgaben)
Robert oder der letzte Wille: ein Seitenstück über den Umgang mit Menschen von Adolph Freyh. v. Knigge. Grodno; Leipzig, 1807.
Digitale Version
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: Ph.pr. 1023
Mieczysławska, Makryna: Recit de Mieczyslawska abbesse des Basiliennes de Minsk, ou histoire d'une persecution de sept ans, suivi d'un appendice sur les souffrances de 97 prêtres échappés de la Sibérie. Louvain et Aix-la-Chapelle, 1846.
Digitale Version
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: Biogr. 1283,42
Kraszewski, Józef Ignacy: Dwa Bogi, dwie drogi. Mińsk, Band 1 (1881) – 2 (1881).
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: P.o.rel. 2551 l-1 | P.o.rel. 2551 l-2
Dobrovolʹskij, L. O.: O poėzii Gogolja. Mogilev na Dněprě, 1886.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: P.o.russ. 84 a
Sapunoŭ, Aljaksej P.: Istoričeskija sudʹby Polockoj eparchii s drevnějšich vremen do poloviny XIX věka. Vitebsk, 1889.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: H.eccl. 3191 r
Ottiski vidov chramov, svjaščennych predmetov, gorodov Sěvero-Zapadnago kraja, narodnych tipov Vitebskoj gubernii i predmetov drevnosti. Vitebsk, 1891.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: 38.2290
Gamov, Izmail I.: Očerki dalekoj Sibiri. Gomel', 1894.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: H.as. 4616 h
Kornilov, Ivan P.: Putevyja zamětki. Vitebsk, 1895.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: It.sing. 1498 m
Belarussische Sammlung – Spezialbestände
Literatur des „nationalen Erwachens” von Belarus
Werke in moderner belarussischer Sprache entstehen in Folge des allmählichen „nationalen Erwachens” der Belarussen (innerhalb des damaligen Russischen Reiches) ab dem späten 19. Jahrhundert, in größerer Anzahl sogar erst nach der Russischen Revolution von 1905. Schon gegen Ende der 1920er Jahre wurden diese kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten von den neuen sowjetischen Machthabern unterbunden zugunsten einer weitgehenden Russifizierung. Die oftmals belletristischen Originale dieser belarussischen Schaffensphase müssen heute als rare Kostbarkeit gelten. Die entsprechenden Autoren sind teils in Originalausgaben, durchweg im Nachdruck in der Sammlung vertreten.
- Ältestes belarussischsprachiges Werk im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek ist die Originalausgabe (1918) der berühmten „Belarussischen Schulgrammatik“ von Branislaŭ Adamavič Taraškevič, dem Begründer der Taraškievica, der klassischen belarussischen Rechtschreibung, die noch heute vor allem von intellektuellen Kreisen als Schreibform des Belarussischen bevorzugt wird. Die parallel in belarussischer und russischer Sprache erschienene Grammatik gilt als wegweisend für die Entwicklung der jungen Sprache.
- Zmitrok Bjadulja, dessen Werke in den 1930er Jahren aus den sowjetischen Bibliotheken verbannt wurden, ist mit einigen Werken und einer frühen Werksausgabe vertreten. Der Roman „Jazep Krušynski” liegt inzwischen in retrodigitalisierter Form vor.
- Von Ciška Hartny (mit bürgerlichem Namen Smicer Šylunovič) – er beging als ehemaliger Kulturfunktionär 1937 in kommunistischer Haft Selbstmord – befindet sich eine vierbändige Werksausgabe von 1929 im Bestand.
- Als ehemaliger Angehöriger des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und des belarussischen Schriftstellerverbandes fiel Platon Ramanavič Halavač 1937 Stalins „Säuberungen“ zum Opfer. Aus seiner Feder liegt unter anderem die zweite Ausgabe (1931) seiner Schrift „Vinavaty“ von 1930 vor.
Titelliste (mit Links zu den digitalen und Printausgaben)
Taraškevič, Branislaŭ A.: Biełaruskaja hramatyka dla škoł. Wilnia, 1918.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: L.rel. 2608
Eine russischsprachige Ausgabe der Grammatik:
Taraškevič, Branislaŭ A.: Belaruskaja gramatyka dlja škol. Vydanne 3. Vilʹnja, 1920.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: L.rel. 2602 e
Bjadulja, Zmitrok: Jazėp Krušynski. Mensk, Band 1 (1929) – 2 (1932).
Digitale Version: Band 1 | Band 2
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: P.o.russ. 22-1 | P.o.russ. 22-2
Hartny, Ciška: Zbor tvoraŭ. Mensk, Band 1 ( 1930) – 4 (1932).
Digitale Version: Band 2 | Band 3 | Band 4
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: P.o.russ. 21 w-1 | P.o.russ. 21 w-2 | P.o.russ. 21 w-3 | P.o.russ. 21 w-4
Halavač, Platon Ramanavič: Vinavaty. Vydanne 2. Mensk, 1931.
Digitale Version
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: P.o.russ. 44 k
Albaruthenica der Aschkenazim
Auch einige jiddischsprachige Werke im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek künden von der größeren Kulturfreiheit für die Minderheiten in der späten russischen Zarenzeit und zeitweise im Sowjetreich. Solche Schriften gaben letztlich der Entwicklung der modernen jiddischen Literatur Auftrieb. Selbst die Sowjets entdeckten das Jiddische als Sprache für die eigene Propaganda. Die Werke sind heute beredtes Zeugnis einer Kultur, deren Spuren im Zweiten Weltkrieg fast vollständig ausgelöscht wurden.
- Von dem polnisch-jüdischen Schriftsteller Icchok Leib Perec, einem der Begründer der modernen jiddischen Literatur, liegt das auf Jiddisch in Minsk gedruckte Werk „Tzwišen tzwei berg“ (1905) vor.
- Auch die mehrteiligen „Kleine dertzeilungen“ (1906) aus der Feder des polnisch-jüdischen Schriftstellers und Dramatikers Sholem Asch sind in Minsk erschienen.
- Das in jüdischen Kreisen von Belarus auf ein breites Publikum ausgerichtete Zamelbuch „Kultur“ enthält für den jiddischsprachigen Leser eine Vielzahl an Erzählungen und allgemein kulturell und wissenschaftlichen Informationen.
- Auch Lenins Schriften wurden zeitweise in jiddischer Sprache publiziert, um die entsprechenden Bevölkerungskreise zu erreichen. 1926, nur kurze Zeit nach dem Tod des Parteiführers, erschien in Minsk die Schrift „Wegn kooperatzie“.
- 1929 wurde von der Jüdischen Abteilung der Belarussischen Wissenschaftlichen Akademie in Minsk in jiddischer Sprache eine statistische Materialzusammenstellung zu den Juden der belarussischen Sowjetrepublik publiziert.
Titelliste Literatur der belarussischen Aschkenazim (mit Links zu den Printausgaben)
Perec, Icchok Leib: Tzwišen tzwei berg, a śimḥes-toire'dige maiśe ; dertzeilṭ fun alṭen melamed. Minsk, 1905.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: A.hebr. 1362 l
Asch, Sholem: Kleine dertzeilungen. Minsk, Teil 1 (1906) – 7 (1906).
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: A.hebr. 1360 o-1/7
Zamelbuch „Kulṭur”. Minsk, 1905.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: A.hebr. 1469 q
Lenin, Vladimir Ilʹič: Wegn kooperatzie. Minsk, 1926.
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: A. hebr. 1629 r
Jidn in WSSR: sṭatisṭiše maṭerialn = Jaŭrėi na Belarusi. Mensk, Band 1 (1930).
Printversion im OPACplus/BSB-Katalog, Signatur: 4 A.hebr. 502 h-1 und 4 A.hebr. 535 l -1
Literatur zur Sammlung
Kunz, Norbert: Weißrussland-Publikationen und ihre Bedeutung an der Bayerischen Staatsbibliothek München. In: Auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis: Bibliotheken als kulturelle und soziale Zentren; 42. ABDOS-Tagung, Minsk, 28. bis 30. August 2013; Referate und Beiträge. Berlin, 2014. S. 24-37. Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz: Veröffentlichungen der Osteuropa-Abteilung. 41.
[BSB-Signatur: 4 AD 2014.668]