Im Oktober konnten im Auktionshandel vier illuminierte Handschriften erworben werden, die unterschiedliche Sammlungsschwerpunkte vertreten und sich durch die Qualität ihrer Buchmalerei auszeichnen.
- Besonders kostbar erscheinen die historisierten Initialen eines kleinen italienischen Stundenbuchs (Clm 30337). Die sehr fein modellierten Figuren mit zart gehöhtem Goldschimmer auf den Gewändern umgeben von dichten Ranken in kräftig glühendem Kolorit und Blattgold hat Hans-Joachim Eberhardt zufolge der renommierte Buchmaler Liberale da Verona um 1472 bis 1475 wohl für ein Mitglied der Sienesischen Patrizierfamilie Sergardi gestaltet. Im bedeutenden Bestand der illuminierten italienischen Handschriften des 15. Jahrhunderts (Katalog Bauer-Eberhardt 2014) füllt diese Handschrift eine Lücke.
- Etwa doppelt so groß ist ein für den Gebrauch in Gent eingerichtetes Stundenbuch, das mit 24 Kalenderbildern, zwölf ganzseitigen Bildern und weiteren 11 kleineren Miniaturen reich und raffiniert illustriert ist (Clm 30340). Typisch für die flämische Buchmalerei sind neben dem Realismus der weiten Landschaften, komplexen Architekturansichten und genrehaften Alltagsszenen vor allem die mit großen Ranken, Blumen, kleinen Tieren und Grotesken besetzten Bordüren, die auf Doppelseiten in Gold und Pastelltönen überraschend variiert sind. Die Stifterin, die in Witwentracht betend am Rand der Verkündigungsminiatur zum Marienoffizium erscheint, bleibt trotz ihres prominent angebrachten Wappens (geteilt zwei französische Familien: links Voisin de Cerisay, rechts de Laminière) und ihrer mehrfach wiederholten Bilddevise noch zu identifizieren.
- In Paris zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstand die monumental angelegte Ausstattung eines weiteren Stundenbuchs, dessen blattgroße Miniaturen statt Bordüren goldene Architekturrahmen haben (Clm 30339). Während sich im flämischen Exemplar die Kreuzigung vor einer Stadtansicht mit dem Belfried von Gent zuträgt, sieht man hier den Mord des leibhaftigen Todes an einem Liebespaar an der Seine auf Höhe von Saint-Germain-des-Prés. Die Buchmalerei stammt aus dem künstlerischen Umfeld von Jean Pichore, der das 2020 für die Bayerische Staatsbibliothek erworbene „Brevier des Octovien de Saint Gelais” (Clm 30333) illuminiert hat. Einen flämischen Einfluss bezeugt eine als Augentäuschung in Lebensgröße über ein Blatt krabbelnde Fliege. Die mit den beiden Stundenbüchern bereicherten Bestände an flämischer und französischer Buchmalerei wurden erst jüngst kunsthistorisch erschlossen (Katalog Bauer-Eberhardt 2022).
- Ein um 1480 entstandenes Processionale (Clm 30338) gehört in das größte Sammlungsgebiet der Handschriften bayerischer Herkunft. Die nachträglich mit blau und Blattgold nobilitierte Zeichnung der Hl. Kunigunde als Kirchenstifterin weist auf die Bestimmung der Handschrift für das Bistum Bamberg und eine Rubrik auf eine noch zu identifizierende Kirche mit einem Sigismund-Altar. Da der Initialdekor nürnbergisch ist, dürfte der Codex dort entstanden sein.