Die Bayerische Staatsbibliothek und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin haben heute vier Werke aus der 1942 vom NS-Regime aufgelösten Bibliothek der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums an das Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam übergegeben. Den Rahmen hierfür bot das Herbsttreffen des Arbeitskreises „Provenienzforschung und Restitution – Bibliotheken“, das an der Universität Potsdam stattfand.
Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums wurde 1872 unter anderem von Abraham Geiger (1810-1874) gegründet, um sich im Geist akademischer Freiheit der jüdischen Tradition zu widmen. 1942 wurde die Hochschule von den Nationalsozialisten geschlossen und die Bibliothek beschlagnahmt. Das Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam versteht sich als Nachfolgeeinrichtung der Hochschule. Es ist die erste Rabbiner- und Kantorenausbildungsstätte in Mitteleuropa nach der Schoa.
Bei den Büchern, die die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) an das Abraham Geiger Kolleg übergab, handelt es sich um den neunten, elften und zwölften Band einer insgesamt zwölfbändigen Ausgabe des babylonischen Talmuds. Die von 1930 bis 1936 in Berlin erschienene Übersetzung des Privatgelehrten Lazarus Goldschmidt stellt bis heute eine der maßgeblichen deutschen Fassungen dar. Die Titel gelangten nach der Beschlagnahme der Hochschul-Bibliothek im Juli 1942 an die NS-Ordensburg Sonthofen im Allgäu. Ab 1946 wurden die in Sonthofen verbliebenen Buchbestände von der amerikanischen Militärregierung an die Staatsbibliothek übergeben. Dort wurden die Titel ab 1948 in den Bestand eingearbeitet.
Das Buch, das die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) überreichte, ist „Die Apostelgeschichte und die Anfänge des Christentums. (Ursprünge und Anfänge des Christentums)“ von Eduard Meyer. Es gelangte 1946 in den Bestand der Berliner Stadtbibliothek. Lieferant war die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken, eine Berliner Behörde, die von Juli 1945 bis Februar 1946 in Berlin unter anderem verstreute Buchbestände sicherstellte und weiterverteilte. Das genannte und auf diesem Weg in den Bestand der ZLB aufgenommene Buch stammt aus einem Depot des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in der Eisenacher Straße. Das RSHA plante den Aufbau einer „Gegnerbibliothek“ und schaffte dafür zwischen zwei und drei Millionen Exemplare aus europaweit geplünderten Bibliotheken nach Berlin.
Zur Restitution an der BSB und an der ZLB:
Seit 2003 sucht die Bayerische Staatsbibliothek aktiv und zunächst in Eigeninitiative nach NS-Raubgut in ihren Beständen. Bereits 2006 nahm Uri Siegel, stellvertretend für seine Familie zwei Bücher aus dem Besitz seiner Tante Gabriele Rosenthal entgegen; 2007 erhielt das Thomas-Mann-Archiv-Zürich in Absprache mit Frido Mann 78 Bände aus der Arbeitsbibliothek des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers. Die Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste trägt seit 2013 dazu bei, die Recherche voranzutreiben und Rückgaben zügig durchzuführen: 2014 restituierte die BSB beispielsweise Bücher aus dem Besitz des renommierten Kunsthändlers Dr. Ludwig Bernheimer (1906-1967) an dessen Tochter Dr. Francisca Bernheimer.
Die heutige ZLB besteht aus der 1901 gegründeten Berliner Stadtbibliothek (BStB), der 1954 in West-Berlin errichteten Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und der Senatsbibliothek Berlin (SeBi). Alle drei Teilbibliotheken haben NS-Raubgut im Bestand. 2002 starteten erste Bestrebungen der ZLB, das NS-Raubgut im eigenen Bestand aufzuspüren und zurückzugeben. Ab 2009 wurden diese intensiviert. Von 2009 bis 2013 wurde ein von der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und Provenienzforschung, heute Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt. Der Berliner Senat fördert die NS-Raubgutforschung der ZLB seit 2010.
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